26.05.2016 Christiane Stenzel
Ozeanversauerung
Wenn sauer nicht lustig macht
Taucherglocke im Interview mit Prof. Ulf Riebesell
Sie sind spezialisiert auf Ozeanübersäuerung. Wie sind Sie darauf gekommen, sich gerade auf dieses Forschungsthema zu konzentrieren?
Die Ozeanversauerung ist ein wichtiges Thema in unseren Forschungsarbeiten, zusammen mit anderen globalen Veränderungen in unseren Meeren wie Erwärmung und Verlust an Sauerstoff.
Auf die möglichen Konsequenzen der Ozeanversauerung für das Leben im Meer wurden wir in den späten 90ern aufmerksam. In unseren Studien über Kohlendioxid (CO2) Anreicherung im Meerwasser bemerkten wir, dass Kalkalgen bei zunehmender Versauerung durch CO2 Schwierigkeiten bei der Kalkbildung bekommen. Daraufhin haben wir unsere Arbeiten in diesem Bereich dann auch auf andere Organismengruppen und schließlich auf ganze Ökosysteme ausgeweitet.
Was ist Ozeanübersäuerung und wie kommt es im Meer dazu?
Der Ozean erweist uns einen großen Dienst, indem er jährlich etwa ein Drittel des menschengemachten Kohlendioxids aufnimmt. Ohne diesen Dienst würde die Klimaerwärmung noch deutlich schneller voranschreiten. Dieser Dienst hat allerdings einen Preis: Das im Meer zusätzlich gelöste CO2 reagiert mit dem Wasser und bildet Kohlensäure, die das Meerwasser allmählich ansäuert. Dies hat bis heute zu einer Zunahme des Säuregehaltes im Meerwasser um etwa 30% geführt. Wenn die CO2 Emissionen sich fortsetzen wie bisher, wird sich der Säuregrad bis Ende dieses Jahrhunderts mehr als verdoppelt haben.
Welche Regionen sind davon am stärksten betroffen?
Am stärksten betroffen von der Ozeanversauerung sind voraussichtlich die Polarregionen. Im kalten Wasser dieser Regionen löst sich CO2 Gas besonders gut, wodurch die Versauerung hier schneller voranschreitet als anderswo im Ozean. Außerdem sind die Polargebiete schon von Natur aus nahe der korrosiven Grenze, unterhalb der Kalk in Lösung geht.
Bereits in wenigen Jahrzehnten wird die gesamte Arktis korrosiv für ungeschützte Kalkskelette und Kalkschalen sein. Die lebenswichtigen Kalkstrukturen der betroffenen Organismen werden sich dann schlichtweg auflösen.
Gibt es das Phänomen schon lange? Wann wurde es entdeckt?
Das Phänomen Ozeanversauerung durch menschliche CO2 Emissionen hat praktisch mit dem Beginn der Industrialisierung begonnen. Der überwiegende Teil der heute messbaren Versauerung fand allerdings während der letzten 40 Jahre statt, da in dieser Zeit die Emissionen stetig und rapide angestiegen sind. In der Wissenschaft wurde das Problem der Ozeanversauerung erst vor etwa 10 Jahren erkannt und wird seither intensiv erforscht.
Was hat das für Folgen für die Meeresbewohner?
Zu den Verlierern der Ozeanversauerung zählen vor allem die Kalk bildenden Organismen.
Der energetische Aufwand der Kalkbildung steigt mit zunehmender Versauerung. Viele dieser Organismen werden unter den erhöhten Kosten nicht mehr imstande sein, sich in ihrer ökologischen Nische zu behaupten. Als Folge werden die Ökosysteme an Artenvielfalt verlieren. Einige Ökosysteme, in denen Kalkbildner Schlüsselfunktionen einnehmen, wie zum Beispiel die Korallenriffe, könnten ganz verschwinden.
Was hat das für Folgen für die Menschen?
Wir ziehen eine Vielzahl von Dienstleistungen aus dem Meer. Etwa eine Milliarde Menschen, ein Siebtel der Weltbevölkerung, ist auf Meeresprodukte als primäre Quelle für tierisches Eiweiß angewiesen, vor allem in den weniger entwickelten Regionen.
Es ist fraglich, ob artenärmere Ökosysteme die gleiche Produktion erbringen werden. Korallenriffe sind essentiell für den Küstenschutz und eine wichtige Einnahmequelle für den Tourismus. Außerdem sind sie die artenreichsten Ökosysteme im Meer. Mit ihrem Verlust würde der Lebensraum für unzählige daran angepasste Tier- und Pflanzenarten verloren gehen.
Es gibt aber auch eine Reihe von indirekten Dienstleistungen, über die wir uns oft nicht bewusst sind. Die Aufnahme von menschengemachtem Kohlendioxid und die Produktion klimakühlender Gase im Meer gehören dazu, Prozesse die bei fortschreitender Versauerung an Stärke verlieren könnten.
Was machen Sie bei Feldexperimenten in Spitzbergen - und warum gerade dort?
Wir haben unsere Feldexperimente zur Ozeanversauerung in sehr verschiedenen Klimazonen durchgeführt, von der hohen Arktis in Spitzbergen, über die Nord- und Ostsee bis hin zum subtropischen Atlantik vor den Kanaren. Jedes dieser Ökosysteme hat ihre speziellen Sensitivitäten gegenüber Ozeanversauerung.
Es gibt aber auch Reaktionen, die immer gleich ausfallen. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Kleinsten der Kleinen im Plankton von der Ozeanversauerung profitieren. Das wiederum hat nachteilige Effekte auf die größeren Planktonorganismen und damit auf die Effizienz des Nahrungsnetzes.
Auch die Produktion des klimakühlenden Gases Dimethylsulfid, dass für den typischen Geruch des Meeres verantwortlich ist, hat in allen Feldexperimenten unter Ozeanversauerung deutlich abgenommen.
Von der Korallenbleiche haben die meisten Menschen schon einmal gehört – von der Ozeanversauerung aber weniger. Woran liegt das? Ein Problem der Medien oder der Wissenschaftsvermittlung?
Das Phänomen der Ozeanversauerung ist noch ein sehr junges Forschungsthema.
Vor 10 Jahren war die Problematik selbst unter Meeresforschern kaum bekannt. Sowohl die Forschung in diesem Bereich als auch die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und unter den Entscheidungsträgern hat aber in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Die Ergebnisse der Ozeanversauerungsforschung sind prominent in den jüngsten Bericht des Weltklimarates eingeflossen und haben auch eine wichtige Rolle bei den Klimaverhandlungen letzten Dezember in Paris gespielt.
An wen wenden Sie sich mit Ihren Ergebnissen? An die Politik, andere Wissenschaftler? Erreichen Sie mit Ihren Ergebnissen auch "normale Menschen"?
Wir bemühen uns, die Entscheidungsträger, die breite Öffentlichkeit und die sogenannten Stakeholders, also Interessensgruppen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, gleichermaßen über unsere Ergebnisse zu informieren. Insbesondere versuchen wir auch gerade jungen Menschen und Schülern die Problematik der Ozeanversauerung näher zu bringen. Der intensive Austausch mit anderen Wissenschaftlern ist dabei Grundvoraussetzung für wissenschaftliches Arbeiten.
Was kann man als Taucher tun? Oder: Gibt es überhaupt etwas, das man tun kann?
Taucher können hier eine ganz wichtige Vermittlerrolle einnehmen. Da sie die Unterwasserwelt selbst hautnah erleben, können sie den Menschen die Schönheit und die biologische Vielfalt im Meer aus eigener Erfahrung nahe bringen. Besser als alle anderen können Taucher den Menschen daher vermitteln, warum es wichtig ist, diese beeindruckende Vielfalt zu schützen und zu bewahren.
Prof. Dr. Riebesell, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Prof Dr. rer. nat Ulf Riebesell ist Professor für Biologische Ozeanographie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Er gilt als einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Ozeanversauerung. 2011 wurde er mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft für seine Forschungen zum Ozeanwandel ausgezeichnet. Riebesell ist u.a. Mitglied des "Exzellenzclusters Ozean der Zukunft".